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Unsere Englandreise

Auf Kohlemine eingesunkener Pub im Black Country

Als wir unseren letzten Newsletter versandten sah die Welt noch völlig anders aus. Während unserer Englandreise erlebten wir, wie sich die Schlaufe wegen COVID-19 um unser Leben zuzog. Die Fahrt durch Frankreich und Belgien verlief noch ereignislos. Simone stellte sich zwar schon vor, wie unsere Fähre in Zeebrugge noch ablegen würde hingegen die Engländer sie in Hull nicht mehr landen lassen würden. Dies traf zum Glück nicht ein.

 

SS Gussformen

 

Gussformen Ventildeckel ...

 

... Beschläge, Getriebeende, Wasserleitungen

Unser erstes Meeting bei einem "SS-Teilefossil" verlief sehr erfolgreich. Wir konnten uns auf einen Deal einigen und kauften die Gussformen für SS 100 Anbauteile. Ich sage extra Anbauteile, weil wir keine Blöcke oder Getriebe giessen können. Was wir aber auch haben, sind die Gussformen für Ventildeckel, Getriebedeckel und Aufhängungspunkte am Chassis. Gegossen werden die Komponenten je nach Anwendung in Aluminium, Bronze oder Grauguss. Als kleine Dreingabe übernahmen wir gleich auch noch eine ganz gepflegte Schweizer Drehbank von Schäublin von 1963.

 

V12 mit vier Nockenwellen

Unser nächster Besuch galt einem unfassbaren Projekt. Vor einem Jahr kauften wir von einem Menschen einen der wenigen, wenn nicht der einzige, XF Zylinderkopf. Nein, nicht den eines XF, die heute in Produktion sind. Der XF war 1946 die Vorstufe zum XK Motor, der 1948 vorgestellt worden ist. Bei der Übergabe erzählte uns der Verkäufer voller Begeisterung, wie er kurz vor der Fertigstellung von Zylinderköpfen sei, um einen V12 Motor auf XJ13 "quadcam" Spezifikation umzubauen. Nun kamen wir in den Genuss, diesen mechanischen Leckerbissen bewundern zu dürfen. Sollte jemand interessiert sein seinen E Type Serie 3 auf vier Nockenwellen umzubauen, wir können behilflich sein. Sogar ein XJ13 mit Strassenzulassung wäre möglich, da das erste Exemplar in England gerade typengeprüft worden ist.

XF 4-Zylinder Prototyp Zylinderkopf

 

4.2 lt Dönni Kolben

Danach besprachen wir mit einer Kolbenschmiede 4.2lt Kolben nach unseren Spezifikationen fertigen zu lassen, um die weitverbreiteten Probleme mit Kolben und Ringen von minderwertigen Nachbaukolben für uns endlich aus dem Wege zu räumen.

 

Coronaseitig begann sich unsere Welt langsam aber stetig zu verändern. Wir hörten, dass die wesentlichen Aussteller des zu besuchenden Ersatzteilemarktes zu Hause bleiben wollten. Das bedeutete, dass wir diese am folgenden Tage anzufahren hatten, was uns eine ordentliche Kilometerleistung auf teilweise schlechten, langsamen Strassen aufbürdete. Stets hörten wir Nachrichten und erlebten mit Erstaunen wie entspannt die englische Regierung die Epidemie anging. Sie appellierten an den "common sense" des Bürgers, oder wie es früher im englischen Passe hiess, dem "Subject". Nachdem unser Schweizer Spediteur mitteilte, dass es ihm nicht mehr möglich ist in England einen Agenten zu finden, der uns wie immer Sonntagnachts in Dover eine Ausfuhr erstellt, gab es noch eine Planänderung. Keine Neuteile bei den Lieferanten abholen, da wir sonst zolltechnische Probleme beim Transit und der Einfuhr in die Schweiz bekommen würden. So fuhren wir dann am Samstag Mittag zum Ausstellungsgelände, um bereits die ersten Stände zu durchstöbern.

Wie das Gerücht bereits sagte, fehlten die grossen Firmen und auch diverse kleinere Teilehändler hatten sich entschlossen dem Flohmarkt fern zu bleiben. Aber der Anlass fand statt. Brav hielten sich die Engländer an das vom Staat empfohlene Social Distancing. Dies fand auch am Tage der Messe statt, denn rund ein Drittel der Aussteller fehlten und die "Sehleute" glänzten durch Abwesenheit, was auch hier das Social Distancing vereinfachte. Alle Aussteller meinten unisono, dass die Verkäufe erfolgreich gewesen seien. Auch wir fanden viele seltene Ersatzteile, um die wir sicher einmal froh sein werden. Ausnahmsweise stiess noch ein Freund/Kunde zum Helfen zu uns. Er erlebte sicher zwei Höhepunkte. 1. Wir waren schwer am Feilschen wegen eines Teiles, das wir zwar gut gebrauchen konnten aber der Preis echt zu hoch war. Da fragte unser Freund scheu dazwischen, was denn das XJ6 S2 Werkstatthandbuch kosten solle. Die knappe Antwort: "Five Quid". Ich glaubte mich verhört zu haben! Die blau/weisse Banknote wechselte den Besitzer im Tausche gegen ein kaum benutztes weiss/blaues Buch. "Buy of the day" würde ich sagen! 2. An einem anderen Stand entdeckte ich in einem Klarsichtmäppchen einen Briefverkehr aus den 90er Jahren mit SS Aufklebern, in denen von einem Schweizer Arzt (eye doctor) mit einem crèmefarbenen SS100 die Rede war. Ich konnte es nicht lassen, dem Verkäufer zu erklären, dass dies heute der Präsident des Jaguar Drivers' Club Switzerland sei und kaufte den Inhalt des Mäppchens. Auch an diesem Stande liess sich unser Freund ablenken und erstöberte ein äusserst gepflegtes S.S.1 Handbuch, wieder zu einem sehr reellen Preis - auch wenn mit dem eingesetzten Mammon ein schönes Nachtessen mit gutem Wein hätte genossen werden können.

Das legendäre Dönni-Wägeli, das vor über 20 Jahren aus Keeclamps gezimmert worden ist

Fazit: Für alle Beteiligten ein erfolgreiches Wochenende und wir sind fester Meinung, dass wir uns dank strikter Einhaltung der englischen Regeln nicht infiziert haben.

 

Bernard Viart

Der Höhepunkt aber wartete noch auf uns. Der Besuch am Montag bei Bernard Viart, dem grossen Jaguar Autoren.
Für Jaguar Enthusiasten aus den 80er Jahren eine wichtige Person, denn seine Bücher gehörten zu den wenigen, die auf Deutsch übersetzt worden sind. Nachdem Simone und ich im Januar alle seine Tafeln und Bilder erworben hatten, formten wir zu viert eine Haltergemeinschaft für die Fotokollektion von Bernard Viart. Wir hatten uns gut vorbereitet, um die Schätze sicher transportieren zu können. Und so verluden wir sorgfältig alles in die mitgebrachten Rakoboxen. Ein Schatz bestehend aus Dokumenten, Fotos und Negativen - inklusive vieler zerbrechlicher Glasnegative. Bei den Emailtafeln konnten wir im Januar noch bewundernd "ah" und "oh" ausrufen. Was macht man bei Tausenden von Fotos? Genau! Immer wieder liessen wir uns ablenken von diesem und jenem Objekt. Aber das Ausmass konnten und können wir immer noch nicht ermessen. Zwei Sensationen haben wir aber sicher schon entdeckt. Wir besitzen Fotos vom Innenraum des allerersten XK 120. Diese Fotos sind absolut unbekannt.

Weltpremière: Foto des Innenraums XK120 Nummer 1!

Wir haben nun quasi die Typenrechte in Frankreich auf allen 60er Jahre Jaguar Limousinen, da wir im Besitze der ganzen Korrespondenzen mit Jaguar Cars Ltd. und der französichen Typenprüfungsautorität haben. Alles mit Originalunterschriften!
Auf meine Frage hin woher denn die unglaubliche Menge an Glasnegativen stamme, erklärt uns Bernard, dass er diese dem Werk abgekauft habe, weil sie sonst Ende der 70er Jahre entsorgt worden wären. Wie grossartig ist denn das, dass dieser Schatz nun dank der Mithilfe von 3 Freunden sicher in der Schweiz, dem Land mit der grössten Dichte an historischen Jaguar, angekommen ist?

Rakoboxen gefüllt mit einzigartigen Schätzen.

Als kleine Nebenerscheinung bot uns Viart noch seine übrig gebliebenen Jaguarteile an. Also begannen wir einzuladen, bis wir feststellen mussten, dass die Nutzlast unseres Ivecos definitiv erreicht war. Also wird wohl oder übel ein dritter Besuch am Aermelkanal nicht zu verhindern sein.

Gross, aber bei weitem nicht alles, ein XK 140 C-Type Motorblock

Plötzlich riss unser Gastgeber seine Arme in die Luft. Ach ja natürlich! Social Distancing. Dies war sein Abschied aus 2 Metern Distanz. Unser Zwischenstopp in einem Vorort von Paris wurde noch kurzfristig gecancelled, da die Strassen teilweise schon gesperrt worden seien. Also machten wir uns auf den Heimweg auf recht leeren Autobahnen. An den Raststätten mussten wir feststellen - Corona hatte eingeschlagen. Alle Angestellten trugen Handschuhe und Masken. Nur noch abgepackte Nahrung in den Gestellen der Tankstellenshops und die anderen Flächen abgesperrt mit rotweissen Bändern. Vor kurzem noch mit Unglauben die Bilder aus China gesehen, jetzt dasselbe Szenario bei uns.
Uns dräute aber noch vor dem Grenzübertritt. Am Montag um sieben Uhr abends endlich am Zoll in Basel angekommen, erblicken wir viele Grenzwächter. Wir parkieren unseren schwerbeladenen Iveco und erwarten nun Diskussionen ob unsere Ladung privat oder professionell sei. Ein Grenzwächter löste sich unwillig aus der Gruppe, prüfte unsere Rechnungen, stempelte sie und kassierte ein. Erleichtert fuhren wir mit unserer wertvollen Fracht in die Old Mill.

 

Die Schweiz ist eine Andere geworden
seit wir sie gen England verlassen hatten

Mit dem ersten Arbeitstag in unserer Firma trafen wir auf eine neue Schweiz. Umgehend informierten wir unsere Mitarbeiter über neue Hygienemassnahmen und bekommen auch regelmässig Updates von unserem Berufsverband, die wir umsetzen zu unserem und dem Schutze anderer Bürger.

Die Old Mill bleibt aber voll operativ, unser Telefon für Mailorders ist wie immer besetzt, wobei das Abholen der Ersatzteile nur auf Terminvereinbarung und unter Einhaltung der Eidgenössischen Hygienevorschriften vorgenommen werden kann. Auch die Werkstatt ist geöffnet. Dank unserem kleinen Durchsatz an Autos müssen wir keine besonderen Massnahmen treffen, ausser dass unsere Autos vor Ablieferung desinfiziert werden.